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»DURCH DIE APPALLACHEN«

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Eigentlich wollten wir die Appalachen „in der Pfeife rauchen“ und schnell nach New York rollen, aber eine Strecke auf der Landkarte zurückzulegen oder in natura, ist ein himmelweiter Unterschied.

Dutzende Kilometer geht es nur aufwärts. Da schweigen die Wälder, da hört man nur das Blut in den Ohren pochen, da rasselt der Atem, da ermüden die Augen vom flimmernden Asphalt. Die Beine sind die Steigungen kaum noch gewöhnt. Auch nicht die hohen Geschwindigkeiten während der kurzen und daher steilen Abfahrten. Ich denke dabei immer wieder an meinen Sturz in China und fahre deshalb besonders vorsichtig.

Obwohl die Natur in ihrem goldbraunen Herbstkleid einen faszinierenden Zauber ausstrahlt, fehlt uns die Ruhe zum Genuß. Neben einem Gehöft stört ein Autofriedhof die Idylle. Rostige Blechkisten wurden wie vergammelte Blechdosen übereinandergestapelt und drohen umzukippen. Auf dem Gipfel zieht eine Aussichtsplattform die Touristen magisch an. Sie drängeln sich vor den automatischen Fernrohren, in die man einen Vierteldollar hineinwerfen muß, um die weitentfernten Berge greifbar nah heranzuholen.

Wir aber tun nichts dergleichen, wir quälen uns schnaufend über die nächsten Erhebungen. Die Köpfe sind leer, und nur manchmal – während all der Strapazen – stellen wir uns die langen Gesichter derer vor, die vor einigen Monaten ihre Wette gegen uns abschlossen ...

Drei Tage und drei Nächte ver bringen wir in den Appalachen. Natur, Natur, Natur ... Immer häufiger sinken mit der Dämmerung die Temperaturen dem Gefrierpunkt entgegen. Es wird Zeit, nach Hause zu kommen.

In Redhouse klopfen wir an die Tür einer zweistöckigen, weißen Kirche. Ein alter Mann mit der Haar- und Bartfarbe seines Hauses öffnet die Tür nur einen kleinen Spalt. Er ist der Pastor, wie er sagt. Mißtrauisch beäugt er erst Markus, dann mich. Während wir ihn um ein Stück seines Fußbodens bitten, auf dem wir nächtigen können, sucht er ständig nach einer anderen Variante, die ihn vielleicht von seiner Pflicht, uns zu helfen, entbinden könnte.

Als er keine andere Möglichkeit, als uns willkommen zu heißen, sieht, fragt er uns nach der Telefonnummer seines Kollegen aus Liberty, bei dem wir vor einigen Tagen eine Nacht verbrachten. Ein aufrechter Mann des Glaubens ist dieser Mensch wahrlich nicht, bei diesem Mißtrauen.

Kurz bevor wir ihm das sagen können, besinnt er sich und gewährt uns Einlaß. Pfarrer Frederick, so steht auf der Fußmatte, stellt uns seiner jüngeren, viel zu dicken Frau vor. Sie hat langes, strohigblondes Haar und tischt uns heißen Kartoffelbrei, Leber und Mischgemüse auf. Sie und ihr Mann verfolgen jede unserer Bewegungen. Der Pastor ersinnt immer neue Fragen.

Im Badezimmer entdecke ich ein kleines Schild in altertümlicher Schrift über der Tür: »Welcome in my house«, und als wir im Bett liegen, hören wir, wie der Pastor unsere Zimmertür von außen verriegelt.
»Wenn ihr auf die Toilette müßt, steigt einfach durchs Fenster und benutzt den Dornenstrauch vor meinem Haus«, sagt er trocken.

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