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»DIE KANTINE«

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Kapitel von Joshy Peters vorlesen lassen:

Der Wind kommt von vorn, zieht an den Kapuzen. Feiner Niederschlag frißt sich in jeden Gesichtswinkel. Selbst unsere Leiber – umhüllt von »GoreTex« – sind längst nicht mehr trocken. Um zwei Uhr nachmittags braust das erste Auto des Tages vorbei und klatscht uns Pfützenwasser an die Hosen.

Drei Stunden später stehen wir in Ganaly – einem verschlafenen Nest mit vier Holzkaten und einer Baracke. Irgendwo bellt ein Hund in den grauen, nebligen Tag. Hier wollen, hier müssen wir den leeren Proviantbeutel füllen.

Wir stellen die Karren ab, leinen die Hunde an und gehen den abschüssigen Weg zur Baracke. Aus ihr tritt ein Mann mit unrasiertem Gesicht und Kordhut. Zuversichtlich fragen wir nach einem Laden. Der Fremde schüttelt lachend den Kopf. Das Geschäft gäbe es schon seit Jahren nicht mehr.

»Wozu auch?«, höhnt er vollmundig. »Für uns paar Leute?« Die nächste Siedlung ist über sechzig Kilometer entfernt. Was soll nun werden?

»Verkaufen Sie uns was zu essen?«, fragt Ronald. Der Mann grummelt und führt uns in die Unterkunft.

Draußen spielt der Wind mit zwei quietschenden Fensterläden. Wir steuern durch einen langen, kahlen Flur in einen beleuchteten Raum, aus dem eine tiefe, energische Stimme dringt. Sie gehört einem kräftigen, grauhaarigen Anzugträger, der von seinem breiten Schreibtischsessel aus auf eine Frau im Weißkittel einredet. Ihr Platz auf dem abgeschabten Polsterstuhl, flankiert von glanzloser Anbauwand und dünnbeinigem Tisch, scheint die Hackordnung der Personen zu symbolisieren. Wir stehen im Eingang, tropfen mit unserer Kleidung die Holzdielen voll und werden nicht bemerkt.

Unser Begleiter unterbricht das Gespräch und stellt uns und das Anliegen vor. Der Mann im Anzug justiert seine Stimme, klingt nun freundlicher: »Schauen Sie, Jelena Petrowna, Touristen.« Die mittelalte, schmalgesichtige Frau sieht uns mit verweinten Augen an und schneuzt in ein Taschentuch. Der Mann stellt sich als Bürgermeister vor und bedauert den längst geschlossenen Einkaufsladen.

»Kinder, kommt in die Kantine«, sagt die Frau und erhebt sich.

Im Speisesaal ist es warm, doch wir frösteln noch, kauern auf den Stühlen nah am Ofen. Jelena Petrowna serviert uns heiße Zitrone in blaugepunkteten Porzellanbechern, einen Bastkorb voll weicher Brötchen und eine Schale mit brauner Fischpaste. Die Frau sieht durchs Küchenfenster, entdeckt Gina und Condor und gerät ins Schwärmen. Sie und ihr Mann besäßen auch einen Schäferhund. Sie wohnt in Milkowo und reist jeden Morgen über 150 Kilometer mit dem Bus an. Sie gibt uns noch mehr von der Paste und legt weitere Brötchen in den Korb. Wir sollen auch den Hunden welche schmieren. Sogar drei Büchsen Fleisch stellt sie uns hin.

Es reizt, den ganzen Abend am Ofen zu sitzen, doch wir wollen noch ein bißchen Strecke machen. Während die Küchenfrau Geschirr spült, legen wir ihr heimlich den Hundertrubelschein, den sie nicht annehmen wollte, unter den Brötchenkorb. Dann bedanken und verabschieden wir uns.

Gina und Condor fressen die Fischbrötchen auf und schonen so ihr weniges Trockenfutter. Am Barackenfenster erscheint die schmale, neonlichtbestrahlte Silhouette von Jelena Petrowna. Dann fällt die Gardine zurück und im Raum erlischt das Licht.

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