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»BRANDENBURGER HEIMAT«

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Kapitel von Joshy Peters vorlesen lassen:

Am nächsten Morgen besucht uns ein alter, leberfleckiger Mann mit Schlappmütze. Die Nachbarin habe ihm erzählt, wir seien Ostdeutsche. Da seien ihm Erinnerungen gekommen, die er uns gern erzählen möchte. Neugierig folgen wir dem langsam dahinschlurfenden Rentner durch die nebeldurchzogenen Häuserzeilen. Er scheint es mit den Bandscheiben zu haben. Mehrmals bleibt er stehen, stemmt eine Hand in die Wirbelsäule und drückt sie durch.

Wir gelangen an eine rotblau verzierte Haustür. Er schließt sie auf, tritt ein, nimmt die Mütze ab und entblößt lange Großvaterohren. Durch den kühlen, nach Leder riechenden Flur gehen wir ins Wohnzimmer. Die kleingemusterten Tapeten, die alten, glanzlosen Anbauschränke, der holzummantelte Fernseher und der Ornamentteppich inhalierten wahrscheinlich schon Jahrzehnte vom Leben des Mannes. Ihre bräunlichen Farben strahlen Altherrengemütlichkeit aus. Der Senior bietet uns zwei Polsterstühle an.

»Himmel, das Gedächtnis«, sagt er und gleitet langsam in einen Ohrensessel. »Wo war ich nur stationiert? Eine kleine Stadt in Brandenburg.« Kolja, so heißt der Mann, überlegt eine Weile, und als es ihm nicht mehr einzufallen scheint, ruft er plötzlich »Spremberg« aus. Er beginnt davon zu schwärmen, wie er in den sechziger Jahren durch die Straßen der Stadt spazierte. Es war Frühling, Sperlinge tschilpten in den Linden und Kolja war verliebt.

»Margit lebte in Cottbus. Wir haben uns auf dem Maifest kennengelernt. Fast hätten wir geheiratet.« Er spricht heiser und brüchig. »Einmal machten wir einen Ausflug nach, wie hieß das noch, Pleitz?«

»Peitz«, korrigiert Ronald.

»Ganz recht. Wir badeten in einem See. Ich schaute sie an und fühlte mich zu Hause. Als hätte ich nie eine andere Heimat gehabt.« Manchmal, wenn er ein Erlebnis wie einen kleinen Schatz ausgräbt, schließt er für Sekunden die Augen und schweigt. In Spremberg habe er zwei Jahre gedient und sei danach vier Jahre zivil dort gewesen.

»Warum sind Sie zurückgekommen?«

»Ich mußte. Wenn die da oben es so wollen? Meine Heimat, sagten sie, sei Rußland. Keiner fragte, wo ich glücklicher wäre.« Es sei schwierig gewesen, das alte Leben herauszukramen.

»Haben Sie Margit nie wiedergesehen?«

»Nie.« Er seufzt. »Hab dann die Irina geheiratet. War keine schlechte Zeit. Sie starb vor acht Jahren.« Für eine Weile sitzt er zusammengesunken im Sessel, die grünen, in Höhlen liegenden Augen wirken müde, wie nach einem langen Marsch. Erst als die Zimmertür aufgeht und ein junger Mann mit freiem, durchtrainiertem Oberkörper im Rahmen steht, blüht der Alte auf.

»Mein Enkel!« Er winkt den Burschen heran. Der setzt sich auf den Schoß des Großvaters.

»Er ist Judomeister von Kljutschi. Ein feiner Junge«, preist er stolz. Die beiden lächeln sich an, sind offenbar ein Herz und eine Seele.
»Geh deiner Mutter Bescheid sagen. Wir haben Gäste.« Der Enkel nickt, springt auf und verläßt den Raum.

Koljas Tochter ist rotwangig und hat einen schönen, schlanken Hals, den ein grünliches Amulett ziert. Der Alte bittet sie um ein Frühstück, daraufhin eilt sie in die Küche.

Kolja erzählt, daß er in Spremberg den Wolga des Offiziers steuern durfte und sich noch gut an den herben Tabakduft im Fahrzeug erinnere. Schwerfällig erhebt sich der Mann, schleicht zum Schrank und entnimmt ihm Feuerzeug, Tabakdose und Pfeife. Er setzt sich wieder, stopft sie, entzündet den Feinschnitt und zieht am Mundstück. Bläuliche Wolken steigen auf.

»Auch das erinnert mich an Brandenburg«, meint er und wirkt glücklich.

Seine Tochter kehrt mit einem beladenen Tablett zurück und tischt Leckereien auf: Rühreier, Bratkartoffeln, geräucherten Fisch, Brot und eine Kanne Kaffee. Auf der Stirn der Frau hat sich eine steile Falte gebildet.

»Vater, hör auf zu rauchen!«

»Kind, laß mich doch.« Er schickt ein jungenhaftes Lächeln nach. Als die Tochter wortlos den Raum verläßt, sagt Kolja: „Sie sorgt sich sehr um mich. Ihre Schwester ist schon gestorben.« Unser Gastgeber ermuntert uns, tüchtig zuzugreifen. Er ißt nichts, beschäftigt sich mit dem Tabak.

Zum Abschied bedanken wir uns bei Kolja mit einer Silbermünze, dessen Kopf die Silhouette des Rostocker Rathauses trägt.

»Und das wird mich an euch erinnern.« Der Alte streicht uns über die Schultern und steht im Türrahmen des Hauses, bis wir aus seinem Blickwinkel verschwinden.

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