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»INTERESSANTE DINGE«

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Wieder ist ein Tag vergangen. Wir trotzen der Dunkelheit mit unserem Lagerfeuer.

Nach dem Essen, wir sitzen noch vor dem Zelt und schauen verträn Schreck: ›Da will jemand mit seinem Boot anlegen!‹ schlußfolgere ich. Doch unsere Hunde laufen frei herum!

»Vorsicht!« rufe ich den Ankommenden zu. »Wartet!« Schnell erhebe ich mich, führe die Hunde wie immer, wenn sich jemand dem Lager nähert, in eine sichere Entfernung. Dort machen sie Platz und rühren sich nicht von der Stelle. Dann gebe ich den Unbekannten ein Zeichen, daß die Gefahr vorbei sei.

In der Dunkelheit erkenne ich schemenhaft, wie einer von ihnen das lange Holzboot mit einer Stange ans Ufer stemmt. Ein großer Vierbeiner, der mich an einen Karelischen Bärenhund erinnert, springt ans Ufer.

»Ich hätte auch gern Ferien«, sagt einer der Bootsfahrer und hockt sich schwerfällig ans Feuer. Müde Augen schauen mich an: das Gesicht eines Siebzigjährigen. Die kurze Jeansjacke mit den großen Brusttaschen will nicht so recht zu ihm passen. Der Alte schiebt sich die Mütze aus der Stirn.

Währenddessen kniet sich der andere Mann, er sieht jünger aus, könnte der Sohn des Alten sein, neben Markus hin. Er trägt eine fesche braune Kunstlederjacke, darunter ein weißes Hemd. Auf dem Kopf sitzt ihm ein viel zu großes blauweißes Basecap, welches einen Schatten auf die Augen des Mannes wirft.

»Was fischt ihr hier?« frage ich und erinnere mich unseres Fangergebnisses, das mit einem Blinker am Kajakheck so manches Abendbrot sichern sollte, uns aber bisher nichts einbrachte. Der Alte streicht sich über seinen weißen Bart: »Da müßt ihr meinen Vater fragen.«

Zuerst glaube ich, er macht einen Scherz. Doch weit gefehlt. Er zeigt auf seinen Nebenmann, den wir für seinen Sohn hielten. Markus und ich lachen fast gleichzeitig auf, und damit die beiden verstehen warum, nennen wir ihnen den Grund. Der juvenile Vater ist darüber nicht unglücklich. »Ich fühle mich auch jung«, sagt er und läßt zwei Goldzähne aufblitzen.

»Kinder!« beschwert sich sein Sohn, »ich bin erst zweiundfünfzig!«

»Aleksej Aleksejewitsch«, stellt er sich vor und reicht uns die Hand. »Mein Vater ist schon zweiundsiebzig und heißt auch Aleksej. Er kann als einziger den deutschen LKW im Dorf reparieren. Einen Robur.«

»Hab bei Stalin deutsche Kriegsgefangene kennengelernt. Nicht weit von hier gab es ein Zwangsarbeitslager. Die Deutschen hatten zwei rechte Hände, wenn es um Technik ging. Einige der Männer mußten die LKW in der Dorfkolchose reparieren. Dort arbeitete ich und konnte mir einiges abgucken. Getriebe auseinandernehmen und so was.«

Wir reimen uns das Gesagte aus des Seniors Gesten und Worten zusammen, denn alles verstehen wir nicht. Russen, so unsere Erfahrung, plaudern munter drauflos, haben sie bemerkt, daß ihr Gegenüber der russischen Sprache ansatzweise mächtig ist.

»Ich bin auch Schlosser«, sage ich. Eine kleine Brücke zu bauen, kann nicht schaden. In den Augen des Vaters meine ich Zufriedenheit über den Gleichklang unserer Herzen zu erkennen.

»Ich war Mechaniker.« Er schüttelt den Kopf. „Davon kann man hier jetzt nicht mehr leben.«

»Nun sind wir Jäger und Fischer«, fügt Aleksej junior hinzu. Wir bieten den beiden Tee an, denn etwas zu essen haben wir außer zwei kleinen Kartoffeln nicht mehr. Als hätten die Männer Röntgenaugen, mit denen sie unsere Lebensmitteltasche durchleuchten können, schlagen sie vor, morgen Fisch und Brot vorbeizubringen.

Wir freuen uns. »Und wir besorgen Konserven.«

»Woher denn?«

»Aus dem Dorfladen.«

»Den gibt es schon lange nicht mehr.« Aleksej junior weist mit zu den dunklen Holzhütten und läßt die Geste in einem Abwinken enden. »Seht nur, wir haben noch nicht einmal Strom!«

»Früher«, fährt er fort und sucht bei seinem Vater Bestätigung, »hatten wir da nicht alles, was wir brauchten? Wir hatten sogar ein Telefon. Ja, damals war alles besser.« Der Senior nickt, und gähnt dann, als langweile ihn der Philosophieausbruch seines Sohnes.

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