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ÜBER DIE REISE

Trennlinie

»Wollen wir nicht wieder was zusammen unternehmen?«

»Was? Ich mit dir?«

»Ich frage dich nicht gern. Aber mit wem soll ich sonst fahren?«

»Hm, man könnte es versuchen. Sich unterwegs zusammenraufen. Wohin soll es gehen?«

»Ich dachte an Sibirien, die Lena.«

»Ja, mit Kajaks, das wäre was.«

»Okay, wir machen es.«

Die Männer schnallen im Juli 2000 zwei Doppelkajaks auf das Dach eines alten VW Busses, nehmen auch Gina und Condor - Ronalds Schäferhunde - mit und fahren nach der Weltumradelung und der halsbrecherischen Reise zum Sultan von Brunei ein drittes Mal gen Osten.

Doch diesmal ist es anders. Die Männer verbindet keine Freundschaft mehr. Stumm fahren sie die ersten Tage nebeneinander her. Was soll man sagen, nachdem so viel kaputt gegangen ist? Zerbrochen an ein und derselben Frau. Es wäre leichter, mit einem Fremden zu reisen.

Doch vielleicht ist da auch Hoffnung, wieder zusammenzuwachsen, dort, unterwegs, jenseits des Alltags, fern der Zivilisation. Auch das Gegenteil ist möglich, das wissen sie.

Über Moskau, den Ural, Nowosibirsk und Irkutsk erreichen sie den Oberlauf der Lena bei dem Dorf Birjulka. Dort stellen sie ihren Kleinbus auf dem Hof des hiesigen Bürgermeisters ab und paddeln los. In den Kajaks sitzen hinten die Männer, vorn die Hunde.

Am ersten Tag auf dem Fluss - die Strömung ist stark und das Wasser eiskalt - kentert Markus mit dem vollbepackten Boot. Die Männer büßen ihre komplette Kameraausrüstung ein.

Unterwegs durch die Taiga verspüren die Abenteurer eine Einsamkeit, die ihnen die Kehle zuschnürt. Um nicht daran zu verzweifeln, sind sie dazu verdammt, miteinander zu reden.

In Ust-Kut geraten sie in eine Tischrunde der Russenmafia. Statt die Neuankömmlinge auszurauben, geben sich die Ganoven gastfreundlich und richten - sie dulden keine Widerrede - den Geburtstag von Markus aus.

Zwischen Ust-Kut und Lensk machen die Rostocker einen grausigen Leichenfund. An diesem Ort festsitzend und umgeben nur von den dunklen, wie nach ihnen greifen wollenden Wäldern, erleben sie die unheimlichste Nacht ihres Lebens und danken dem Himmel, die Hunde bei sich zu wissen.

Doch immer wieder überrascht sie auch die selbstlose Herzlichkeit der Einheimischen, die es weitab der Zivilisation gewohnt zu sein scheinen, nicht nebeneinander sondern miteinander zu leben. Man schenkt den Globetrottern Brot, Fisch und Unterkunft, und weil die zwei Russisch sprechen, öffnen die Menschen auch ihre Herzen.

Manche von ihnen sind noch nie einem Ausländer begegnet, andere scheinen selbst welche zu sein, fühlen sich zumindest so und sehnen sich zurück in die Heimat, welche Ukraine oder Weißrussland heißt.

Da sind Fischer, die sich in Breshnjews Zeiten zurückwünschen, weil es in ihren Dörfern keine Arbeit mehr gibt; da sind Goldgräber, die, von Wachen mit Kalaschnikows bewacht, die Reichtümer Russlands fördern und mit einem dreißig Jahre alten Moskwitsch unterwegs sind.

Jenseits aller Straßen scheint die Zeit stehengeblieben zu sein. Das Plätschern des Wassers und das Rauschen des Windes in den Baumwipfeln streichelt die Stille. Markus und Ronald wachsen in dieser Wildnis wieder zu einem Team zusammen.

Anfang September erreichen sie nach mehr als 3.000 Kilometern Jakutsk, die Hauptstadt der Jakutischen Republik. Sie haben die Lena als erste Ausländer über diese Distanz befahren. In den Fassaden der vom Reichtum des Landes erzählenden Glastürme spiegelt sich die Herbstsonne.

Von hier treten sie den Rückweg auf Frachtern und Passagierschiffen an, bis sie wieder vor dem freundlichen Bürgermeister in Birjulka am Oberlauf der Lena stehen, in den Wagen steigen, die achttausend Kilometer lange Distanz zwischen Ferne und Heimat schmelzen lassen und währenddessen erkennen: Sie sind wieder zwei Freunde.